Das Werte- und Entwicklungsquadrat als Diversity Coaching Instrument
Auszug aus
Johannes Narbeshuber (Hrsg)
In Beziehung. Wirksam. Werden.
Der systemisch-evolutionäre Coaching-Ansatz der Trigon Entwicklungsberatung
Beitrag von Birgit Parkos-Greger
Das Werte- und Entwicklungsquadrat zeigt unterschiedliche Wertehaltungen und Sichtweisen zwischen verschiedenen Personengruppen im Unternehmen auf (z.B. zwischen unterschiedlichen Generationen oder Personen mit anderem kulturellen Hintergrund). In der Zusammenarbeit können diese Spannungen, die auf voneinander abweichenden Werten basieren, zu Konflikten oder Pattstellungen „ausarten“. Häufig kommt es zu „Schwarz-Weiß-Denken“, Pauschalisierungen und Abwertungen der anderen Sichtweise. Gegenseitige begriffliche Vorwürfe und Zuschreibungen von Extrempositionen werden systematisch im „Werte- und Entwicklungsquadrat“ aufgenommen und analysiert.
„Kein Wert ist an sich allein schon genug, was er sein soll –
er wird es erst durch Einbeziehung des positiven Gegenwertes.“
(Wertequadrat nach Helwig 1967)
Ziel einer „optimalen“ Zusammenarbeit ist es, Polarisierungen zu vermeiden und die im Hintergrund stehenden positiven Werte der jeweils anderen Position zu reflektieren und zu würdigen. In diesem Entwicklungsprozess sollen die Coachees darin unterstützt werden, eigenes und fremdes Verhalten besser zu verstehen und gemeinsame Ressourcen und Synergien zu nützen (1+1=3). Auch die eigene Entwicklung zu mehr Balance bei extremen Positionen wird entsprechend angeregt (Schulz von Thun 1990: 245 ff.).
Das Dilemma von „das Eine“ und „das Andere“ wird durch eine dritte Position „Beides, sowohl als auch“ erweitert. Die tiefe Überzeugung, dass es eine Art Verbindung von zwei Gegensatzpolen gibt, wird dadurch aufgezeigt (Varga von Kibéd und Sparrer 2018).
Zeitaufwand
Abhängig von jeweiliger Situation, Anzahl beteiligter Personen und konkreter Fragestellung, 2–4 Stunden.
Material und räumliche Rahmenbedingungen
Flipchart, Stifte, Moderationskarten und Pinnwand
Indikation
Insbesondere in heterogen zusammengesetzten Organisationen spielt ein aktives Diversity Management eine zentrale Rolle. Bei Diversity Coachings wird das „Werte- und Entwicklungsquadrat“ insbesondere in folgenden Kontexten angewendet:
- Internationale Unternehmen mit MitarbeiterInnen aus unterschiedlichen Kulturen: Interkulturell bedingte Wertehaltungen führen zu unterschiedlichen Standpunkten, mögliche Verhärtungen eigener und fremder Positionen, Schwarz-Weiß-Argumentationen, mögliche Pattstellung bei Entscheidungen und Veränderungsprozessen, Lagerdenken innerhalb des Unternehmens.
- Generationsübernahmen in der Geschäftsführung von Unternehmen bzw. Familienbetrieben. Unterschiedliche Vorstellungen der jüngeren Generation in Bezug auf Führung, Kommunikation, Steuerung, Transparenz, Verantwortungsverteilung und Mitgestaltung sowie andere Erwartungshaltung der Generation der „Digital Natives“ an die „Neue Arbeitswelt 4.0“.
- Unterschiedliche Unternehmenskulturen innerhalb einer Organisation treffen aufeinander (z.B. nach Fusionen), unterschiedliche Erwartungshaltungen und Werte zu verbinden stellt eine zentrale Herausforderung dar.
- Führung von Teams mit hoher Diversität (z.B. hinsichtlich Alter, Kultur, Ausbildung). Wie können Unterschiede konstruktiv thematisiert und symbiotisch weiterentwickelt werden?
Prozessziel
- Beschäftigung mit eigenen und fremden Werten und Haltungen,
- Bewusstmachen eigener Bewertungen und Zuschreibungen sowie von Stereotypen und Vorurteilen gegenüber anderen Personengruppen (Kulturen, Generationen),
- Klarheit in Bezug auf Selbst- und Fremdwahrnehmung,
- Nutzen von Synergien der Diversität, Optimieren der Zusammenarbeit,
- Erweitern von Handlungsspielräumen und Kompetenzen.
Konkreter Ablauf
- Erfassung von Anliegen, Problemstellung, Konfliktsituation: Situationsbeschreibung durch die Coachees;
- Welche Werte sind Ihnen in Ihrem Arbeitsumfeld besonders wichtig? Aufschreiben auf Karten;
- Wo sehen Sie Spannungen/Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitenden in Bezug auf Ihre Werte? Beschreiben Sie diese „fremden“ Positionen/Einstellungen/Werte. Aufschreiben auf Karten;
- Inhaltliche Zuordnung der eigenen und fremden Wertebegriffe. Anordnung auf Pinnwand in Form von Wertequadraten, positive gegensätzliche Begriffe oben, darunter negative Übertreibungen;
- Begrifflichkeiten hinterfragen, reflektieren und Zeit geben, um treffsichere Begriffe zu formulieren. Übertragung des/der ausgewählten Wertequadrate/s auf Flipchart;
- Hinterfragen der beiden Ebenen (positive Werte und deren negative Übertreibungen): In welchen konkreten Situationen sind unterschiedliche Werthaltungen spürbar? Wie offen wird darüber diskutiert? Gibt es aus Ihrer Sicht verhärtete Positionen? Werden dadurch operative Prozesse blockiert? Zirkuläres Fragen: Wie würde Ihre Kollegin oder Ihr Kollege dazu Stellung nehmen, was wäre ihr oder ihm wichtig, wo gibt es positive Elemente im Gegenwert?
- Wie kann Diversität der Werte/Einstellungen zu etwas Positivem „reframed“ werden (eine andere Bedeutung bekommen)? Wo könnten Synergien daraus resultieren? In welchem konkreten Bereich/Projekt/Aufgabenstellung können Sie damit experimentieren? Welche Entwicklungen können auf beiden Seiten damit erreicht werden? Brainstorming, Ideen auf Flipchart festhalten.
Schlüsselsequenzen
- Vertrauensaufbau, empathische Gesprächsführung, Würdigen von Standpunkten;
- Zeit zum Nachdenken geben: Finden der Begriffe, Erklären der Systematik des Wertequadrats;
- Begrifflichkeiten der Coachees verwenden, keine eigenen Ergänzungen;
- Aufzeigen von Zusammenhängen beim Umgang mit Worten und deren Einfluss auf Wahrnehmung, Denken und Verhalten.
Exkurs: Diversity Coaching
Diversity Management betrachtet Vielfalt als eine besondere Ressource, die für Unternehmen und Organisationen einen klaren Nutzen und Wettbewerbsvorteil darstellt. Wertschätzung und Respekt für personelle Vielfalt stehen dabei im Mittelpunkt. Dieser strategische und ganzheitliche Ansatz betrifft nicht nur Mitarbeitende, sondern auch externe Stakeholder, wie Kundinnen und Kunden oder Lieferanten. Positive Effekte auf Unternehmenskultur, Führung und Motivation der Mitarbeitenden stehen dabei im Zentrum.
Der Fokus in diesem Beitrag liegt insbesondere auf den beiden Diversity-Dimensionen Interkulturalität und Generationenmanagement, die auch durch die globale Marktentwicklung eine besondere Dynamik aufweisen:
- Interkulturalität/ethnische Herkunft: Die Arbeit in virtuellen und realen Teams mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus unterschiedlichen Kulturräumen nimmt zu, der Umgang mit Interkulturalität im Berufsalltag ist zunehmend erfolgsentscheidend.
- Altersgruppen/Generationenvielfalt: Die Veränderung der Arbeitswelten ist durch die Digitalisierung mehr denn je im Umbruch. Nie zuvor war die Unterschiedlichkeit der Arbeitsweise, aber auch der Wertehaltung zwischen den Generationen größer. Die steigende Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeit, die Verwendung neuer Kommunikationsmedien sowie der Anspruch auf mehr Mitbestimmung und Transparenz erfordern neue Führungskonzepte.
Interessensunterschiede, Missverständnisse und Konflikte sind im Arbeitsleben unvermeidbar. Interkulturell oder auch generationsbedingte unterschiedliche Sicht- und Verhaltensweisen sowie Wertvorstellungen können Auslöser dafür sein.
Diversity-Coachings fördern die Selbstreflexion hinsichtlich eigener Denk- und Handlungsmuster und schaffen Bewusstsein und Achtsamkeit in Bezug auf die Unterschiede im Denken, Fühlen und Verhalten anderer Personengruppen und Kulturen. Zielsetzung des Coachings ist die Stärkung der Sozial- und Handlungskompetenz von Einzelpersonen und Teams, die so einen wesentlichen positiven und wertschätzenden Impuls auf die gesamte Unternehmenskultur ausstrahlen.
Diversity-Coachings in Einzelsettings, Gruppen oder Teams schaffen durch einen Prozess des „Bewusstmachens unterschiedlicher Werthaltungen“ nachhaltige Entwicklung von Kompetenzen, wie mehr Offenheit und die Erweiterung des eigenen Kommunikations- und Verhaltensspektrums. Der Fokus liegt dabei auf den Bereichen Führung, Kommunikation, Teamentwicklung sowie Konfliktmanagement.
Verbindung des Werte- und Entwicklungsquadrates mit anderen Tools
- Das „innere Team“, die eigenen unterschiedlichen Anteile sichtbar machen; kommunikationspsychologisches Konzept von Friedemann Schulz von Thun,
- die 4 Ohren von Friedemann Schulz von Thun, 4 Anteile einer Aussage (Sachverhalt, Apell, Beziehungshinweis und Selbstoffenbarung),
- Riemann-Thomas-Kreuz, vier menschliche Grundstrebungen Dauer/Wechsel, Nähe/Distanz, innere Pluralität,
- die Kulturdimensionen nach Fons Trompenaars, Geert Hofstede, Alexander Thomas,
- Eisbergmodell, Unternehmenskultur, E. H. Schein.