Die U-Prozedur

Mithilfe der ganzheitlichen Methode U-Prozedur wird die bestehende Funktion und Rolle von Coachees kritisch untersucht: im Kontext der Arbeitsprozesse und technischen Hilfsmittel, in ihrer Interaktion mit anderen Funktionen und Rollen und als Manifestation der bestehenden Organisationskultur. Im Lösungsteil werden Ansätze zu Veränderungen der Haltung und des Verhaltens in Ausübung der Funktion und im Rollengefüge mit dem Ziel einer Neugestaltung des Arbeitsprozesses erarbeitet.

Mit Dirk Lemson entwickelte ich die U-Prozedur 1970 im Rahmen von Schulerneuerungsprojekten in den Niederlanden (Glasl / de la Houssaye 1975). Sie wird sowohl im Einzelcoaching als auch für das Coaching von Arbeitsgruppen eingesetzt und ist in der Organisationsentwicklung zu einem klassischen Instrument geworden; der archetypische Weg dieser Methode hat u.a. Claus Otto Scharmer vom MIT zu seiner „Theorie U“ angeregt (Scharmer 2009).

Zeitbedarf

Ein Gespräch im Einzelcoaching kann insgesamt ca. 2 Stunden dauern; ein Coaching mit einer Gruppe von Menschen, die am selben Arbeitsprozess beteiligt sind, kann – je nach der Komplexität des ausgewählten Arbeitsprozesses – 3 bis 4 Stunden in Anspruch nehmen.

 

Indikation

Die U-Prozedur ist für das gründliche Verbessern von Arbeitsprozessen entwickelt worden, vor allem wenn die Erwartung besteht, dass es nicht nur um kleinere Anpassungen des Verhaltens und äußerer Techniken geht, sondern um das kritische Hinterfragen und Verändern von Grundauffassungen. Deshalb empfiehlt sich das Vorgehen mit der U-Prozedur besonders für Organisationsveränderungen, die zu einem Paradigmenwandel führen könnten.

Arbeitsergebnis

Die Logik des Vorgehens fördert konkrete Verhaltensänderungen für den Arbeitsprozess, die durch neue Definitionen der Tätigkeiten, Befugnisse, Verantwortung und Rollen sowie durch erneuerte Grundauffassungen abgestützt sind. Dadurch wird Nachhaltigkeit der Veränderungen erreicht.

Ablauf und Beschreibung der Schritte im Einzelcoaching

Es wird ein Arbeitsprozess ausgewählt, welchen die Coachees eigenverantwortlich allein gestalten, und für den Verbesserungen erarbeitet werden sollen. Es ist am besten, wenn dafür ein ganz konkreter Fall ausgewählt wird, der typisch ist für das übliche Vorgehen (z.B. „meine Unterrichtsstunde Geografie in der Klasse 4 am Mittwoch voriger Woche“). Der Prozess wird zuerst kurz und unsystematisch beschrieben, um ein globales Bild des gesamten Ablaufs zu erhalten, sodass danach systematisch an jedem Arbeitsschritt gearbeitet werden kann. Karten und Filzstifte liegen bereit, damit wir oder die Coachees die wichtigsten Punkte notieren können. Zur Unterstützung der Gesprächssteuerung sollte das Bild des U der Abb. 3.3.12.1 im Raum zu sehen sein.

Wir können nun folgendermaßen vorgehen und die hier angeführten Fragen stellen:

 

Schritt 1: Das Verhalten im Ablauf und die eingesetzten Mittel

  • Was sind die genauen Schritte Ihres Vorgehens in diesem Arbeitsprozess?
  • Welche Hilfsmittel und Instrumente setzen Sie dabei ein?
  • Wie sehen Sie die Reaktion der anderen beteiligten Menschen bei jedem Schritt?
  • Wie zufrieden sind Sie mit diesem typischen Ablauf?

Für jeden Schritt des ausgewählten Arbeitsprozesses werden die Antworten in Stichworten auf einer Karte notiert.

Schritt 2: Die Beteiligten, deren konkretes Tun und die Rollen

  • Listen Sie zuerst auf, wer neben Ihnen in diesem Arbeitsprozess noch aktiv oder passiv beteiligt bzw. betroffen ist!
  • Nennen Sie jetzt für jede beteiligte Person bzw. Gruppe:
    Was tun Sie selbst konkret? – Wie weit beeinflussen Sie tatsächlich den Lauf der Dinge? – Welche Ergebnisse wollen Sie damit erreichen?
  • Was sehen Sie als das konkrete Tun der anderen Beteiligten bzw. Betroffenen? – Wie weit beeinflussen diese damit tatsächlich den Lauf der Dinge? – Was vermuten Sie als deren Absichten?
  • Wenn wir jetzt alle Beteiligten in eine andere Welt und/oder andere Zeit versetzen und dafür eine passende Metapher wählen, z.B. als Crew auf einem Schiff, als Wanderzirkus oder Theatertruppe, oder als Menschen an einem Gutshof des 18. Jahrhunderts, oder… Welche Art von Gemeinschaft würde dem konkreten Geschehen entsprechen? – Versuchen Sie jetzt, Ihre eigene Rolle und die Rollen der einzelnen Beteiligten im Sinne der gewählten Metapher zu charakterisieren: Wie gehen die verschiedenen Rollen miteinander um? Wie lässt sich das Klima dieser Gemeinschaft beschreiben?

Schritt 3: Die impliziten Motti, die dem tatsächlichen Ablauf und dem Zusammenspiel der Rollen zugrunde liegen

  • Angenommen, Sie müssten den Arbeitsprozess regeln, damit er ganz genau so abläuft, wie Sie ihn unter Arbeitsschritt 1 beschrieben haben: Wie müssten dann die Anweisungen lauten? Formulieren Sie die Motti und die ungeschriebenen Prinzipien als Aufforderungen, nach denen Sie dann vorgehen müssten – am besten in Form von Imperativen, als „Rufzeichen-Sätze“!
  • Und nach welchen ungeschriebenen Spielregeln läuft das Zusammenspiel der verschiedenen beteiligten Rollen? Formulieren Sie auch diese Motti bzw. Spielregeln wie Aufforderungen oder Anweisungen als „Rufzeichen-Sätze“!
  • Lassen Sie die Sätze spontan aufkommen und korrigieren Sie diese nicht, falls sie vielleicht unschön klingen oder im Widerspruch zu offiziellen Leitsätzen oder Regeln stehen sollten.

Die Motti werden nach der Brainstorming-Regel unzensuriert aufgeschrieben. Weil es jetzt um kurze Sätze geht, eignet sich für die Schritte 3, 4 und 5 ein Flipchart besser als Karten.

Schritt 4: Die kritische Bewertung der Motti mit der „Verkehrsampel“

  • Sehen Sie sich jetzt die einzelnen Motti noch einmal genau an:
  • Welche Motti sollen auch in Zukunft unverändert Ihr Handeln bestimmen? Markieren Sie diese am linken Rand mit grünem Farbstift.
  • Welche Motti lehnen Sie für Ihr zukünftiges Handeln zur Gänze ab? Markieren Sie diese am linken Rand mit rotem Farbstift.
  • Welche Motti befürworten Sie nur teilweise als handlungsleitend für die Zukunft? Markieren Sie diese Motti am linken Rand mit oranger Frage und unterstreichen Sie den abgelehnten Satzteil mit roter Farbe, den akzeptierten Satzteil mit grüner Farbe.

Bei diesem Schritt kann es sehr hilfreich sein, wenn wir auf Entwicklungskonzepte verweisen. Das können Sichtweisen und Haltungen sein, die generell typisch sind für eine bestimmte Entwicklungsphase des Lebens (Lievegoed 1991, Treichler 1981), oder für die Entwicklungsphasen einer Arbeitsgruppe (Glasl / Ballreich 2001), oder darüber hinaus für die Entwicklungsphasen einer Organisation (Glasl / Lievegoed 2016). Solche Denkmodelle leben zumeist unreflektiert in der Kultur einer Organisation und werden individuell als selbstverständlich internalisiert. Es kann sich an dieser Stelle zeigen, dass sich eine Person, ein Team oder eine Organisation in einer Entwicklungskrise befindet, in der es darum geht, zu neuen Paradigmen zu finden und dadurch das Verhalten und Beziehungsgefüge zu verändern. Das Coaching-Gespräch kann Anstoß zu einer Organisationsentwicklung sein.

Schritt 5: Die neuen Motti als Leitsätze für künftiges Handeln

  • Übernehmen Sie auf ein neues Flipchartblatt die Motti, die Sie grün markiert haben und die in Zukunft für Sie gültig sein sollen.
  • Ersetzen Sie die negativen Leitsätze durch neue. Es ist gut möglich, dass mehrere rot markierte Motti durch einenneuen Leitsatz ersetzt werden.
  • Prüfen Sie die mit Orange gekennzeichneten Motti und formulieren Sie neue Motti, in denen auch die Aussage enthalten ist, die Sie als Satzteil grün unterstrichen haben und beibehalten wollen.
  • Gehen Sie die neuen Motti noch einmal kritisch durch und bestätigen Sie diese jetzt ausdrücklich: „Ja, das will ich!“

Ähnlich klingende Leitsätze werden verdichtet und an den Formulierungen gefeilt. So entsteht eine überschaubare Anzahl von neuen Leitsätzen, die zukünftig das Handeln der Coachees bestimmen sollen.

 

Schritte 6 und 7: Neue Funktionen, Rollen und Beziehungen, der neue Ablauf, die aus den neuen Leitsätzen abgeleitet werden

Es bringt die besten Ergebnisse, wenn beim Verändern der Funktionen bzw. Rollen und der Abläufe immer zwischen den Arbeitsschritten 6 und 7 gependelt wird, sodass sich aus den Ideen für den künftig gewünschten Ablauf ergibt, was sich dafür an den Funktionsinhalten und am Zusammenspiel der Rollen ändern muss.

  • (Zu Schritt 7:) Wie anders gehen Sie dann im neuen Arbeitsprozess vor, wenn Sie die neuen Motti anwenden? Was werden Sie anders tun? Wie weit soll Ihre Einflussnahme gehen?
  • Welche Mittel und Instrumente nutzen Sie dafür?
  • (Zu Schritt 7:) Welche Reaktionen auf Ihr Vorgehen erhoffen Sie sich somit von den anderen Beteiligten?
  • (Zu Schritt 6:) Welche Tätigkeiten sollten dann von den anderen Beteiligten (benennen Sie konkret die Personen!) ausgeübt werden? Wie weit soll dabei die Einflussnahme der anderen Beteiligten (nennen Sie konkret die Personen!) gehen?
  • (Zu Schritt 6:) Blicken Sie wieder auf die metaphorische Gemeinschaft, für die Sie vorhin das Zusammenspiel der Rollen beschrieben haben: Wie anders soll jetzt das Zusammenwirken der Rollen aussehen? Wie soll das gewünschte Klima charakterisiert werden?
  • Nehmen Sie an, dass die gewünschte Situation verwirklicht ist: Wie fühlt sich das jetzt an?

Im weiteren Verlauf des Coaching-Gesprächs können mögliche Schwierigkeiten der Umsetzung und deren Lösung untersucht werden. Vor allem ist es wichtig, sich vorzustellen, wie die Verhaltensänderungen auf die Menschen wirken können, die nicht an diesem Coaching-Gespräch mitwirken konnten, aber den geänderten Arbeitsprozess erleben werden.

Wenn der ausgewählte Arbeitsprozess in intensiven Interaktionen zustande kommt und nicht von den Coachees maßgeblich gestaltet wird, sollte unbedingt ein U-Prozedur-Gespräch gemeinsam mit den Beteiligten erfolgen. Die Anleitung dazu findet sich in Glasl / Kalcher / Piber (2014).

Schlüsselsequenzen und Hinweise

 

Die Schlüsselsequenz der ganzen U-Prozedur sind die Arbeitsschritte 3, 4 und 5, in denen es um die alten und neuen Motti geht. Denn hier wird mithilfe der Coach bewusst gemacht, welche „Antreiber“ bzw. Glaubenssätze oder Denkmuster und Haltungen das Verhalten der Coachees bisher mehr oder weniger unbewusst bestimmt haben. Dafür ist die Bereitschaft der Coachees notwendig, zu sich selbst ehrlich zu sein und sich nichts vorzumachen. Die Coach kann das Finden und Formulieren von Motti fördern, indem sie selbst einige Motto-Formulierungen als Beispiele aus anderen Zusammenhängen oder aus dem jetzt geführten Coaching-Gespräch für die Beziehung zwischen Coach und Coachee bringt und so formuliert, dass die Kraft des Imperativs (des „Rufzeichen-Satzes“) erlebbar wird. Wir können beispielsweise formulieren: „Mein Motto ist nicht ,Überzeuge als Coach den Coachee, was für ihn am besten ist‘, sondern mein Motto ist ,Gehe als Coach davon aus, dass ein Coachee selbst am besten weiß, was für ihn gut ist‘!“

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